Die heimliche Durchsuchung einer Wohnung ist ein sehr schwerer Eingriff
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spricht im Interview mit dem RND u. a. über die heimliche Durchsuchung von Wohnungen, Ukraine-Hilfen, den besseren Schutz vor häuslicher Gewalt und Stalking.
Datum 21. August 2024
Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland macht Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann deutlich, dass die heimliche Durchsuchung von Wohnungen ein schwerer Eingriff in den verfassungsrechtlichen Schutz der Wohnung sei. „Die Heimlichkeit wiegt im Vergleich zu einer offenen Durchsuchung besonders schwer, weil man sich als Bürger nicht gegen ungerechtfertigte Vorwürfe wehren kann. Nicht einmal in Zeiten des RAF-Terrors, zu Zeiten ständiger Entführungen, Sprengstoffattentaten und Morden, hat der Staat zu solchen Mitteln gegriffen. Ich mahne daher zu Verhältnismäßigkeit.“ führt er weiter aus. Zudem spricht er u. a. über Ukraine-Hilfen und den besseren Schutz vor häuslicher Gewalt und Stalking.
Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.
RND: Die Koalition hat monatelang um den Haushalt gestritten. Nach der Vorlage am Freitag gab es gleich schon wieder Ärger – etwa über die Ukraine-Hilfe. Finden Sie, die Koalition sieht da gut aus?
Dr. Marco Buschmann: Die Debatte um die Finanzierung der Ukraine-Hilfe ist ein großes Missverständnis. Die Beträge, die bei der Ukraine ankommen sollen, möchte niemand senken. Deutschland bleibt auch in diesem und dem kommenden Jahr größter europäischer Unterstützer für die Ukraine. Neben der bilateralen Hilfe ist es unser Ziel, der Ukraine neue Finanzierungswege zu eröffnen. Deswegen arbeitet die Bundesregierung im G7-Kreis an einem 50 Milliarden Kredit, der auch Erträge aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten nutzt. Deutschland wird weiter seiner Verantwortung gerecht – und vertritt damit ja auch seine eigenen Interessen.
Finanzminister Christian Lindner, Ihr Parteichef, hat Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius schriftlich darauf hingewiesen, dass neue Hilfen nur angewiesen werden dürften, wenn die Finanzierung geklärt sei. Wie passt das zur bisherigen Versicherung der Bundesregierung, die Ukraine werde unterstützt, solange es nötig ist?
Das ist der Hinweis, sich bei eigenen Zusagen im Rahmen des Finanzplans der Bundesregierung zu bewegen. Es gehört zu den Aufgaben des Finanzministers, auf die Einhaltung des Haushalts zu achten.
Lässt sich die Ukraine-Hilfe als ungewöhnliche Notlage begreifen, die ein Sondervermögen und damit eine Ausnahme von der Schuldenbremse rechtfertigt – etwa wenn sich die Lage in der Ukraine weiter zuspitzt?
Wir bestreiten die Unterstützung der Ukraine ohne Notlage im Haushalt. Ich habe manchmal den Eindruck, dass für manche Debattenteilnehmer der Gedanke, möglichst viele Schulden aufzunehmen, beinahe so eine Art Fetisch ist. Als Verfassungsminister ist mir wichtig: Die Schuldenbremse ist Verfassungsrecht. Wir müssen sie einhalten. Es ist zudem politisch klug, sie einzuhalten. Denn mit einer soliden Haushaltspolitik halten wir die Inflation im Griff, wecken Zuversicht in der Wirtschaft und bleiben handlungsfähig bei künftigen Krisen. Uferlose Schulden und ein Aufweichen der Schuldenbremse schaden unserem Land.
Als Justizminister haben Sie gerade an mehreren Stellen Streit mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie sehen deren Vorschläge zur Ausweitung des Messerverbots, zu Ermittlungsmöglichkeiten mit Gesichtserkennung im Internet und zu heimlichen Wohnungsdurchsuchungen kritisch. Was ist da los?
Das Bundesministerium der Justiz hat die Aufgabe, Grundrechte zu schützen und Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Wenn uns Vorschläge vorgelegt werden, bei denen wir Zweifel haben, ob sie diesen Maßstäben standhalten, dann treten wir in eine kritische Debatte ein. Wir haben in der Regierung feste Formate, in denen man Standpunkte austauschen kann. Solche Vorhaben aus den Medien zu erfahren, ist weniger hilfreich. Und wenn man Vorhaben öffentlich macht, bei denen zuvor schon innerhalb der Bundesregierung klar geworden ist, dass es dafür keine Mehrheit der Koalition geben wird, ist es ja keine Überraschung, dass man Widerspruch statt Erfolg erntet. Das gilt insbesondere für heimliche Wohnungsdurchsuchungen.
Die will Ministerin Faeser im Kampf gegen Terrorismus einsetzen. Was haben Sie damit für ein Problem?
Die heimliche Durchsuchung einer Wohnung ist ein sehr schwerer Eingriff in den verfassungsrechtlichen Schutz der Wohnung. Die Heimlichkeit wiegt im Vergleich zu einer offenen Durchsuchung besonders schwer, weil man sich als Bürger nicht gegen ungerechtfertigte Vorwürfe wehren kann. Nicht einmal in Zeiten des RAF-Terrors, zu Zeiten ständiger Entführungen, Sprengstoffattentaten und Morden, hat der Staat zu solchen Mitteln gegriffen. Ich mahne daher zu Verhältnismäßigkeit.
Sie gehen nicht davon aus, dass das Terroranschläge verhindern würde?
Wenn Sicherheitsbehörden davon ausgehen, dass eine Person demnächst einen Anschlag verübt, gibt es zahlreiche Ermittlungsmöglichkeiten, um Beweise für ein Strafverfahren zu sichern und um den Anschlag zu verhindern. Wenn jedoch ein Gesetz erlaubt, dass der Staat heimlich in eine Wohnung einbrechen kann, um sie zu durchsuchen, werden viele Menschen ihr Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren. Durchsuchungen von Wohnräumen gibt es aus guten Gründen in unserem Rechtsstaat nur in offener Form, so dass der oder die Betroffene über den Vorwurf Bescheid weiß und sich verteidigen kann.
Das Bundesverwaltungsgericht hat gerade das von Frau Faeser verhängte Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins vorläufig kassiert. Wie bewerten Sie das?
Das Magazin verbreitet seit Jahren irritierende, unsägliche Inhalte. Aber auch die Verbreitung solcher Inhalte kann von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt sein. Es bleibt das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Sollte das Verbot am Ende keinen Bestand haben, wäre das sicherlich kein Ergebnis, worauf die Verantwortlichen stolz sein könnten.
Stalking-Opfer und ihre Angehörigen, das Land Hessen sowie die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern drängen auf eine bundesweit einheitliche Regelung zu elektronischen Fußfesseln für Gewalttäter. Nur Sie sind gegen eine entsprechende Verankerung im Gewaltschutzgesetz des Bundes zu bessern Sicherheit insbesondere von Frauen vor ihren Partnern und Ex-Partnern. Warum?
Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin offen dafür, die elektronische Fußfessel im Kampf gegen häusliche Gewalt einzusetzen. Auch Regelungen im Gewaltschutzgesetz kann ich mir grundsätzlich vorstellen. Voraussetzung ist aber, dass wir eine Lösung finden, die in der Praxis auch wirklich funktioniert. In typischen Fällen häuslicher Gewalt ist regelmäßig zuerst die Polizei vor Ort. Sie muss dann auch schnell handeln. Für das Polizeirecht sind die Länder zuständig, daher müssen zuerst die Länder entscheiden, ob sie in ihrem Polizeirecht eine elektronische Fußfessel einsetzen wollen. Für eine längerfristige Anordnung kann es Sinn machen, auch Familiengerichte mit einzubeziehen. Ob es hier Spielraum für eine bundesgesetzliche Regelung gibt und wie sie optimal aus Sicht der Betroffenen mit dem Landespolizeirecht verzahnt sein müsste, lasse ich gerade in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe prüfen. Daher verstehe ich manchen Aufruf aus Reihen der Länder nur bedingt. Wir arbeiten längst gemeinsam an seriösen Lösungen.
So reibungslos läuft es aber ja oft mit der Anordnung von Fußfesseln durch die Polizei nicht. Die Opfer müssen sich in der Regel juristische Hilfe holen und bei Gericht Schutzmaßnahmen erwirken.
Mein Thema ist nicht, wie gut oder schlecht Landesrecht funktioniert. Ich warne lediglich davor, dass wir uns einseitig auf das Gewaltschutzgesetz fokussieren. Das Gewaltschutzgesetz wird allein von den Familiengerichten durchgesetzt - nicht von der Polizei. Es kann eine Ergänzung der polizeilichen Gefahrenabwehr sein. Aber Familiengerichte können den Schutz durch die Polizei nicht ersetzen.
Das will doch keiner.
Trotzdem geht es in der öffentlichen Debatte allein um eine mögliche Änderung des Gewaltschutzgesetzes - und nicht darum, wie man die Durchsetzung von Näherungsverboten durch die Polizei verbessern kann. Das ist aus meiner Sicht eine gefährliche Einseitigkeit.
Wieso kann man das eine mit dem anderen nicht verbinden?
Wie gesagt: Ich habe längst eine Arbeitsgruppe mit den Ländern eingerichtet, um die beiden Bausteine des Opferschutzes zu verbinden, also das Polizeirecht, das im Akutfall schnelle Hilfe vor Ort sichert, und die Befugnis von den Familiengerichten. Ich wundere mich, dass so getan wird, als ob wir daran nicht schon arbeiten würden. Ich möchte einen lückenlosen Schutz für von Gewalt bedrohte Frauen erreichen: eine Verzahnung von Landespolizeirecht und dem Gewaltschutzgesetz des Bundes.
Ist das wirklich so formalistisch? Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.
Es ist zutiefst bedrückend, wie viele Frauen in Deutschland Opfer von häuslicher Gewalt werden. Aber noch einmal: Gerade weil das Problem so ernst ist, brauchen wir effektive Lösungen - keine Schnellschüsse. Wir müssen erst klären: Was kann die Polizei heute schon, was noch nicht? Was können die Gerichte? Es ist eine Illusion zu glauben, einfach mit flotten Sprüchen ein so schwerwiegendes Problem aus der Welt zu schaffen.
Spanien hat das geschafft. Dort bekommen Stalker eine Fußfessel, mit der sowohl Opfer als auch zeitgleich die Polizei gewarnt werden, wenn Gefahr droht.
Spanien hat positive Erfahrungen mit der Fußfessel gesammelt. Wir wollen mit den Ländern diskutieren, ob und wie wir daraus lernen können. Klar ist aber auch: eine 1:1-Übertragung auf Deutschland ist so einfach nicht möglich. Der deutsche Staat ist an die Grundrechte und die Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes gebunden.
Die Anordnung einer elektronischen Fußfessel ist ein tiefer Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch dem muss der Gesetzgeber Rechnung tragen. Daher muss es klare Tatbestände im Gesetz geben, wann die Maßnahmen angebracht ist und wann nicht.
Das ist den Opfern egal, Hauptsache sie überleben.
Deshalb haben wir im Kampf gegen häusliche Gewalt im Übrigen schon viel auf den Weg gebracht. Wir haben im Strafgesetzbuch festgeschrieben: Gerichte müssen geschlechtsspezifische Beweggründe bei der Strafzumessung berücksichtigen. Frauenfeindliche Gewalt muss angemessen bestraft werden. Außerdem habe ich eine Änderung des Familienverfahrensrechts vorgeschlagen: Eine Mutter soll ihren Aufenthaltsort und den ihres Kindes nicht preisgeben müssen, wenn es zu einem familiengerichtlichen Verfahren mit einem gewalttätigen Ex-Partner kommt. Und schon in wenigen Tagen werde ich einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem wir den Schutz vor häuslicher Gewalt im Sorge- und Umgangsrecht verbessern werden. Ich schlage darin außerdem eine Änderung des Gewaltschutzgesetzes vor: Familiengerichte erhalten eine neue Interventionsmöglichkeiten gegen Gewalttäter und Stalker, die Möglichkeit zu einer Verpflichtung zu einem Antigewalttraining. Manche dieser Maßnahmen sind weniger plakativ, aber dafür wirksam – und darauf kommt es doch an.
Finden Sie, dass nach Gewalttaten zu oft reflexhaft nach Strafverschärfung gerufen wird?
Strafverschärfungen können in manchen Fällen Sinn machen. Ab und zu gibt es auch Gesetzeslücken, weil sich die soziale, technische oder wirtschaftliche Realität stark verändert hat. Aber das ist die kleinere Zahl der Fälle. Insbesondere gegen Gewaltkriminalität helfen vor allem mehr Polizisten. Das kostet Geld. Die Forderung nach schärferen Gesetzen hingegen kostet kein Geld. Bei jedem Vorhaben muss man daher kritisch fragen, ob die Verschärfung nicht einfach nur von der fehlenden Bereitschaft ablenken soll, in konkrete Sicherheit zu investieren.
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