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„Jeder kann demonstrieren, aber nur im Rahmen des Rechts“

Interview von Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann mit Table Media.

Datum 18. Dezember 2023

Interview von Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann mit Table Media.

Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.

Table Media: Es ist kein Geheimnis, dass Ermittler bei der Observierung – auch der AfD – V-Leute eingesetzt haben und einsetzen. Dieser Einsatz soll jetzt mit einem Gesetz geregelt werden. Warum?

Dr. Marco Buschmann: Der Einsatz von V-Personen ist ein sehr sensibles Feld. Gerade deshalb ist es geboten, ihn im Bereich der Strafverfolgung zu regeln. Wir haben in den letzten Jahren sehr viel über die Praxis des V-Leute-Einsatzes gelernt. Ein Ergebnis war, dass es aufgrund der Tatsache, dass es jedenfalls im Bereich der Strafverfolgung keine klaren Regeln dafür gibt, zu Exzessen kam. Über lange Jahre sind Menschen gedeckt worden, die selber schwer straffällig geworden sind. Das hat der NSU-Untersuchungsausschuss gezeigt. In Frankfurt haben wir jetzt einen Fall, wo sich gezeigt hat, dass es da offenbar keine klaren Regeln gibt. Wenn der V-Mann-Führer, ein Polizist, selber eine Aussage verweigert, weil er die Sorge hat, sich zu belasten, deutet das darauf hin, dass es in der Praxis offenbar zu Konstellationen kommen kann, wo selbst Polizeibeamte sich in Konflikt zum Gesetz begeben. Das ist ein Problem für den Rechtsstaat. Wir wollen dieses wichtige Ermittlungsinstrument daher rechtsstaatlich regeln. Wir haben uns in diesen Tagen auch mit dem Innenministerium auf Regeln im Bereich der Strafverfolgung geeinigt. Und deshalb werden wir in Kürze auch mit entsprechenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung auf das Parlament zugehen.

In einem ersten Entwurf des Gesetzes hieß es, dass V-Leute künftig nur noch auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nach Anordnung durch ein Gericht eingesetzt werden können. Droht da nicht auch Gefahr für die Beamten und V-Leute?

Ein Teil unserer Einigung ist, dass wir einen Richtervorbehalt einführen. Das ist wichtig, um die rechtsstaatliche Kontrolle zu gewährleisten. Und es ist auch eine Hilfe für die Beamtinnen und Beamten, weil man dann eine unabhängige Stelle hat, die sicherstellt, dass man sich im zulässigen Rahmen bewegt. Das bedeutet auch Rechtssicherheit für die beteiligten Beamtinnen und Beamten. Trotzdem sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Wir müssen in diesem Verfahren natürlich sicherstellen, dass die Identität dieser Personen vertraulich behandelt wird. Und deshalb ist es nicht so, dass dann Klarnamen auf den Tisch gelegt werden sollen.

Sondern?

Die Regelung sieht vor, dass die Beamtinnen und Beamten dem Gericht die Ermittlungskonstellation schildern und sagen, wie und in welchem Umfang sie das Instrument V-Person einsetzen wollen. Wenn dann ein Richter oder eine Richterin das für plausibel hält, wird der Einsatz freigegeben. Das bedeutet aber nicht, dass die Identität der Klarnamen der Person aufgedeckt werden muss. Das ist ein guter Weg, einerseits die Bedürfnisse der Ermittlungsbehörden und das Sicherheitsbedürfnis der V-Personen zu respektieren sowie andererseits dafür zu sorgen, dass es in Zukunft nicht mehr zu diesen Exzessen kommt, die alle Expertinnen und Experten wirklich für ein großes rechtsstaatliches Versagen halten.

Wie ist der Stand der Dinge in Sachen Vorratsdatenspeicherung – werden Sie sich da mit dem Bundesinnenministerium einig?

Wir haben eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Diese Vereinbarung sieht mehr oder weniger wörtlich das vor, was wir als Gesetzentwurf mit Quick-Freeze schon seit Längerem vorgelegt haben. Dieser Entwurf stärkt übrigens auch die Situation von Ermittlerinnen und Ermittlern gegenüber dem Status quo, weil wir beispielsweise Ermittlungen, die auf sogenannten NCMEC-Daten basieren, vereinfachen und beschleunigen wollen. Wir sind weiter in Gesprächen mit dem Bundesministerium des Innern. Auch dafür werden wir eine Lösung finden. Bislang haben wir für jedes scheinbar noch so schwierige Problem immer eine Lösung gefunden.

Die Innenministerin hat sich vor wenigen Tagen noch einmal für die Speicherpflicht von IP-Adressen ausgesprochen. Lässt sich Ihr Verhältnis zum BMI mit dem von Herrn Lindner zum Wirtschaftsministerium vergleichen?

Frau Faeser und ich pflegen eine sehr gute Zusammenarbeit. Aber natürlich gibt es den klassischen Rollenkonflikt, dass sich die Innenministerin stärker als Vertreterin der Sicherheit und der Justizminister stärker als Vertreter der Grundrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit betrachtet. Nichtsdestotrotz haben wir eine politische Vereinbarung geschlossen. Und der Koalitionsvertrag hat sich eindeutig dafür entschieden, dass aus Gründen der strafrechtlichen Repression Daten eben nicht auf Vorrat gespeichert werden dürfen.

Hat das EUGH da nicht eine kleine Option offen gelassen?

Das Gegenargument, dass es da einen kleinen Spalt in der EuGH-Rechtsprechung gebe, spricht ja nicht gegen die politische Einigung des Koalitionsvertrages. Denn wir haben ja im Lichte der Erwartung dieses Urteils diese Formulierung so gewählt, weil wir eben keine anlasslose Speicherung von Daten auf Vorrat zu Strafverfolgungszwecken machen wollen. Diese Vereinbarung, die gilt natürlich. Und deshalb sollten wir jetzt möglichst schnell den Ermittlerinnen und Ermittlern die Vorteile meines Gesetzes zuteilwerden lassen, um sie in ihrer Arbeit zu stärken.

Jetzt ist die Vorratsdatenspeicherung politisch mit dem Mietrecht verknüpft. Müssen also Mieter darunter leiden, dass Sie sich beim Datenschutz nicht mit dem BMI einigen können?      

Wir haben im Koalitionsvertrag punktuelle Anpassungen am Mietrecht vereinbart. Ein Vorhaben haben wir auch schon umgesetzt: die neue Aufteilung des CO2-Preises zwischen Vermietern und Mietern. Auch bei den übrigen Vorhaben können wir zügig vorankommen. Die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung ist im Koalitionsvertrag ebenfalls klipp und klar vereinbart. Und aus Sicht der Bürgerrechte handelt es sich dabei um ein rechtspolitisches wichtiges Vorhaben. Die Mietpreisebremse, um deren Verlängerung es ja geht, gilt sowieso bis Ende 2025. Ob ich ihre Verlängerung im letzten Jahr, in diesem Jahr oder erst im nächsten Jahr anstoße, macht keinen Unterschied. Es ändert an der Rechtswirklichkeit nichts. Und ohnehin gilt: Gegen steigende Mieten hilft auf Dauer effektiv nur mehr Neubau.

International gab es Kritik am Umgang Deutschlands mit der letzten Generation und den Palästina-Demos. Hat Sie das geärgert? Oder verstehen Sie das?

Jeder kann demonstrieren, aber nur im Rahmen des Rechts. Wer eine Sachbeschädigung begeht, wer eine Nötigung begeht oder eine andere Straftat begeht, muss mit einer strafrechtlichen Reaktion rechnen. Alles andere wäre ja verrückt und würde dazu führen, dass weitere Menschen sich für andere Themen auch herausnehmen würden, Sachbeschädigungen zu begehen oder Nötigung zu betreiben. Bei den Demonstrationen unter dem Begriff „Pro-Palästina“ verbietet sich jede Pauschalisierung. Natürlich muss es möglich sein, für die Zwei-Staaten-Regelung zu demonstrieren. Natürlich muss es möglich sein, auch seine Trauer zum Ausdruck zu bringen, auch für die Opfer auf palästinensischer Seite. Nur die Sprache des Grundgesetzes ist, was Demonstrationen angeht, völlig klar: Friedlich und ohne Waffen muss es passieren. Und wer beispielsweise Terrorpropaganda macht, macht sich strafbar. Wenn wir Leuten, die unsere liberale Demokratie durch ein Kalifat ersetzen wollen, den öffentlichen Raum überlassen, machen wir unsere Gesellschaft nicht freier, sondern wir sägen an dem Ast, auf dem unsere freiheitliche Gesellschaft sitzt.

War das Vorgehen mit präventiver Gewahrsamnahme von Mitgliedern der letzten Generation in Bayern angemessen?

Ich werde jetzt keine Kopfnoten abgeben, das ist weder meine Aufgabe noch mein Stil. In Bayern ist es ja auch so, dass es die Möglichkeit gibt, sich gegen diesen Präventivgewahrsam zu wehren. Wenn bei Leuten noch gar nicht klar ist, ob sie eine Straftat begehen, die faktische Sanktion im Präventivgewahrsam aber höher ist als das, was sie erwarten würde, wenn sie definitiv diese Straftat begehen, dann haben viele Juristen ein Störgefühl in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit. Gleichzeitig gilt aber: Wir haben einen Rechtsstaat, wir sind nicht hilflos ausgeliefert, wir haben keine Behördenwillkür. Gerade, wenn man in Haft genommen wird, kann man sich wehren. Das sieht auch das bayerische Polizeiaufgabengesetz vor. Wer sich vom Staat falsch, schlecht und ungerecht behandelt fühlt, sollte sich dann auch vor Gericht zur Wehr setzen. Unser Rechtsstaat funktioniert.

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