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„Der Hass ist teilweise erschreckend“

Der Bundesjustizminister ist besorgt über die zunehmende Radikalisierung der Impfgegner. Er will nun handeln.

Datum 04. Februar 2022
Interviewter Dr. Marco Buschmann
Interviewer Hagen Strauß und Holger Möhle

Der Bundesjustizminister ist besorgt über die zunehmende Radikalisierung der Impfgegner. Er will nun handeln.

Herr Buschmann, warum kommt die Bundesregierung nicht in Tritt?

Diesen Eindruck teile ich nicht. Wir haben uns in einer ersten Phase viel Respekt erarbeitet durch unsere diskrete, lösungsorientierte Regierungsbildung. Dann waren wir sehr erfolgreich beim Brechen der Deltawelle, und das mit milderen Mitteln als die Vorgängerregierung. Und schließlich haben wir eine Boosterkampagne mit 30 Millionen Impfungen bis zum Ende des letzten Jahres auf die Beine gestellt, was viele nicht für möglich gehalten haben. Insofern ist die Bundesregierung gut gestartet.

Aber die Zustimmung in den Umfragen sinkt, weder in der Russlandpolitik noch bei der Impfpflicht gibt es ein einheitliches Bild. Hat die Ampel ein Führungsproblem?

Das hat sie nicht. Es ist kein Zeichen von Führungsschwäche, wenn man bestimmte Themen wie eine mögliche Impfpflicht der individuellen Entscheidung der Bundestagsabgeordneten überlässt. Das gab es immer wieder. Insbesondere bei medizinethischen Fragen. Deswegen wundere ich mich, dass einige das Leitbild von Führung aus dem 19. Jahrhundert propagieren und ständig nach dem starken Mann rufen. Das ist aus der Zeit gefallen.

Der Kanzler selbst hat gesagt: Wer Führung bestellt, bekommt sie.

Ich verstehe das als moderne Führung. Eine moderne Gesellschaft wie die Bundesrepublik braucht auch moderne, also partizipative Führung, und diesem Leitbild fühlen wir uns als Regierung verpflichtet.

Haben Sie sich in Sachen Impfpflicht schon entschieden?

Nein. Wir müssen sehr genau beobachten, wie sich die Pandemie entwickelt. Nur wenn eine Überlastung des Gesundheitssystems droht, lässt sich eine Impfpflicht tragfähig begründen. Zudem müssen wir prüfen, ob dafür eine Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung erforderlich ist. Der Expertenrat weist etwa auf die besondere Bedeutung der Impfquote bei den über 50-Jährigen hin. Außerdem werden wir berücksichtigen müssen, ob sich die Situation durch einen flächendeckenden Einsatz neuer antiviraler Medikamente ändern könnte, die es jetzt gibt und die in den klinischen Studien sehr erfolgreich sind.

Sie fürchten keine sechste oder siebte Welle ohne allgemeine Impfpflicht?

Kein Experte kann sicher sagen, mit welcher Variante wir es im nächsten Herbst zu tun haben. Was wir wissen, ist, dass es immer besser ist, geimpft zu sein. Deswegen empfehle ich jedem, sich impfen oder boostern zu lassen.

Dänemark macht auf. Welche Lockerungen können Sie sich vorstellen?

Wir müssen beispielsweise hinterfragen, ob 2G im Einzelhandel noch begründbar ist. In einigen Ländern sind die entsprechenden Regelungen aufgrund juristischer Mängel bei der Umsetzung von den Verwaltungsgerichten gekippt worden. Deshalb gibt es nun eine Gruppe von Bundesländern ohne diese Maßnahme und eine größere Gruppe von Bundesländern, wo sie durchgeführt wird. Wir sollten diese Situation nutzen, um seriös zu prüfen, ob sich eine unterschiedliche Entwicklung beim Infektionsgeschehen und den Zuständen in den Krankenhäusern bei beiden Gruppen ergibt. Sollte sich das Infektionsgeschehen in den Ländern ohne 2G-Regelung nicht schlechter entwickeln als in den anderen Ländern, weckt dies Zweifel an der Geeignetheit und der Erforderlichkeit der Maßnahme. Fehlt es einer Maßnahme aber an Geeignetheit und Erforderlichkeit, dann muss sie entfallen. Das ist eine zwingende Folge aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Wagen Sie eine Prognose, wann die Freiheit komplett zurück sein wird?

Wenn Sie den Status quo vor Corona meinen, ist unser Ziel, dahin so schnell und so verantwortungsvoll wie möglich zurückzukehren. Ich hoffe, dass im März viele Schutzmaßnahmen zurückgenommen werden können. Das könnte etwa möglich sein, wenn sich das Infektionsgeschehen so entwickelt wie vom RKI prognostiziert und ab Mitte Februar die Fallzahlen wieder sinken. Und es setzt voraus, dass wir es nicht kurzfristig mit neuen Varianten des Virus zu tun bekommen, die die Lage wieder komplett verändern.

Corona hat die Gesellschaft in Teilen radikalisiert. Befürchten Sie eine Art Impfterrorismus?

Der Hass von Impfgegnern und „Querdenkern“ etwa auf Politiker, Polizisten oder Journalisten hat teilweise erschreckende Ausmaße erreicht. Deswegen nehmen wir diese Radikalisierung sehr ernst.

Bei Diensten wie Telegram wird Hass verbreitet und zu Gewalt gegen Politiker oder Wissenschaftler aufgerufen. Wollen Sie solche Unternehmen besser reglementieren?

Telegram ist mehr als ein Messengerdienst. Es bietet die öffentlichen Funktionen eines sozialen Netzwerks und muss sich an das dafür gültige deutsche Recht halten. Dazu gehört unter anderem, einen Ansprechpartner für deutsche Behörden zu benennen, damit diese ermitteln können, wenn auf Telegram zu Straftaten aufgerufen wird, indem zum Beispiel sogenannte Feindeslisten veröffentlicht werden. Telegram kommt dieser Verpflichtung nicht nach. Die Rechtslage ist eindeutig. Die Herausforderung liegt in der Durchsetzung des Rechts außerhalb der EU, denn das Unternehmen hat seinen Sitz in Dubai. Uns fehlen also keine Strafrechtsnormen oder Gesetze, aber es braucht eine gewisse Ausdauer, um an das Unternehmen heranzukommen. Die haben wir. Wir werden beispielsweise prüfen, ob und wo Telegram Vermögen hat, in das wir im Falle eines rechtskräftigen Bußgeldbescheides vollstrecken können.

Aber es dauert, bis Sie Unternehmen wie Telegram belangen können.

Mit diesen Begleiterscheinungen der digitalen Globalisierung müssen wir umgehen. Wir führen gegenwärtig zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram. Die Zustellung der Anhörungsbescheide in den Vereinigten Arabischen Emiraten war bislang nicht erfolgreich. Als Nächstes werden wir deshalb den Weg der öffentlichen Zustellung gehen, indem wir eine Benachrichtigung im Bundesanzeiger veröffentlichen. Wir werden also nicht lockerlassen.

Was schwebt Ihnen beim Familienrecht für die Co-Mutterschaft vor? Eine Frage, die ja auch Karlsruhe beschäftigt.

Wenn ein Kind in eine Ehe zwischen einem Mann und einer Frau geboren wird, ist der Mann – unabhängig von der biologischen Vaterschaft – rechtlich der Vater. Die Frage ist, warum dies in einer Ehe zwischen zwei Frauen anders sein soll. Denn entscheidend ist, dass sich zwei Menschen um das Kind kümmern, Liebe und Geborgenheit spenden und auch rechtlich als Gemeinschaft für das Kind einstehen. Es muss nach meiner Überzeugung zum Normalfall werden, dass diese beiden Mütter als Eltern im Sinne einer gemeinsamen Mutterschaft anerkannt werden. Die Rechte des biologischen Vaters dürfen wir dabei jedoch nicht aus dem Blick verlieren.

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